Das
Problem hat schon manche Glosse auf sich gezogen, aber es ist zu
ernst, als dass man es den Linguisten überlassen könnte. Die
Sprache bevorzugt, haben Frauen entdeckt, auf hintergründige Weise
den Mann. Das sollte, wird dann gefordert, sprachpolitisch korrigiert
werden. Und wie immer bei Politik ist die Bürokratie das Instrument,
mit dem das Desiderat zur Ausführung – und zum Entgleisen gebracht
werden kann.
Auf rein sprachlicher Ebene sieht die Sache zunächst
recht einfach aus. Das Deutsch gehört mit einigen anderen, aber
keineswegs allen Sprachen zu denjenigen, die eine
Geschlechtszuweisung an Hauptwörter erzwingen. Sie erfolgt
automatisch und bedarf keiner Spezifikation. Diese Automatik führt
jedoch zu Ungerechtigkeiten, gerade in der Behandlung der
Geschlechter. Bedürfte es der Spezifikation, könnte man sie
vollziehen – oder auch weglassen. Man könnte nicht nur
geschlechtsneutral (sächlich), man könnte ohne jeden Bezug auf das
Geschlecht formulieren. Wenn das nicht möglich ist, muss man sich
mit Korrekturen der Automatik, mit Gegenspezifikationen behelfen,
wenn man besondere Aufmerksamkeit erzeugen will, und damit sind wir
beim Problem.
Ein Sonderfall ist besonders illustrativ: der Mensch
(homme, hombre, uomo usw., alles männlich). Das lässt unklar, ob,
wenn vom Menschen die Rede ist, Frauen mit gemeint oder, meinen die
Frauen, heimlich ausgeschlossen sind. Und noch schlimmer: wenn Worte
wie homme zugleich Mann bedeuten. Im lateinischen Mittelalter konnte
man Frauen noch als mas (oder masculus) occasionatus (oder
imperfectus) bezeichnen – ein unvollständiger Mann, nun ja! Im
Französischen wurde dann homme manqué daraus.
Wer
beschreibt wen?
Wie
immer im Sprachlichen kann man sich mit anderen Formulierungen
aushelfen. Die Auffassung, dass die Sprache Weltsichten determiniere
(die sogenannte Whorf-Sapir-Hypothese), wird heute kaum noch ernst
genommen. Warum dann die Aufregung?
Zum
Thema
Verständlich
wird dies, wenn man die Angelegenheit in der Sichtweise der
Kybernetik zweiter Ordnung betrachtet, also als Problem des
Beobachtens von Beobachtungen und des Beschreibens von
Beschreibungen. Die Frauen haben, das ist der Punkt, herausgefunden,
dass sie in der bisherigen Geschichte von Männern beschrieben worden
sind. Durch umfangreiche historische und vor allem
literaturgeschichtliche Untersuchungen ist das inzwischen hinreichend
dokumentiert. Aber erst wenn man überhaupt fragt „Wer beschreibt
wen?“ und erst wenn man diese Frage mit Hilfe der Unterscheidung
von Mann und Frau konkretisiert, ergibt sich unser Problem, ergibt
sich die neue Empfindlichkeit in Bezug auf Sprachpolitik.
Die
Bedeutungsebene
Im
Anschluss an Linguistik und Kybernetik kann schließlich auch die
Soziologie etwas dazu sagen. Ihre Analysen können zeigen, dass es
kein Zufall ist, wenn sich in der modernen Gesellschaft Bedeutungen
nur noch auf der Ebene des Beobachtens von Beobachtungen und des
Beschreibens von Beschreibungen festsetzen können. Die moderne
Gesellschaft hat alle natürlichen Vorrechte, alle privilegierten
Positionen für richtige Beschreibungen der Welt aufgelöst.
Entsprechend florieren Ideologien und Ideologiekritik,
konstruktivistische Erkenntnistheorien, historischer und kultureller
Relativismus; und die zusammenfassende Formel dafür ist eben, dass
Stabilität nur gewonnen werden kann, wenn und soweit sie sich auf
dieser Ebene des durchschauenden Beschreibens von Beschreibungen
halten lässt.
Kein Wunder also, dass schließlich auch die Frauen
(sei es von Männern, sei es von Frauen) beschrieben werden müssen
als Wesen, die beobachten, wie sie beobachtet, und dann beschreiben,
wie sie beschrieben werden. Und wenn es zutrifft, dass die
Frauenbeschreibungen historisch vorwiegend von Männern angefertigt
worden sind, lässt sich geradezu erwarten, dass diese Affektion mit
Kybernetik zweiter Ordnung zuerst bei Frauen – beobachtet werden
kann.
Die
Frauen können nichts dafür
Geradezu
zwanghaft erscheint dann auch die Epidemie sprachpolitischer
Empfindlichkeiten. Sie ist, wie die neue, sozusagen
postgrammatikalische Aufmerksamkeit für Sprache überhaupt, eine
Konsequenz der Strukturen moderner Gesellschaft. Die Frauen können
nichts dafür. Sie selbst sind das Opfer. Man muss ihnen
helfen.
Frauen neigen nämlich zur Übertreibung, wie man in einer
alten Tradition männlicher Beschreibungen sagen könnte. Wenn sie
fromm sind, sind sie zu fromm. Wenn sie grausam sind, sind sie zu
grausam. Wenn sie in Geschäften hart und rigide führen, gehen sie
auch darin zu weit. Und wenn sie Sprachpolitik treiben, dann ohne
hinreichende Rücksicht auf Sprache.
Fast muss man befürchten,
dass sie demnächst die Unsinnin auf die Gipfelin treiben. Aber auch,
wenn man derartige Vorahnungen beiseitelässt, gibt es genügend
Missgriffe zu kritisieren. Am deutlichsten erscheint das Problem aus
Gründen, die nur eine statistische Analyse klären könnte, an
Worten, die mit Mi anfangen. „Ministerin“ ist zum Beispiel ein
solcher Fehlgriff. Es handelt sich um ein lateinisches Wort, und
Ministra steht als gut etablierte Fassung zur Verfügung. Aber auch
„Mitgliederinnen“ (was man es zuweilen in Anreden wie „liebe
Mitglieder und Mitgliederinnen“ schon hören kann) ist
unerträglich. Was wäre der Singular? Und überhaupt: Mitglied ist,
wie übrigens das Glied auch, sächlich. Es besteht also gar kein
Anlass, eine Überschätzung des Männlichen abzuwehren. Wenn es dann
doch geschieht, müssten die Männer schließlich verlangen, als
Mitgliederer angesprochen zu werden.
[„Postgrammatikalische
Aufmerksamkeit“: Ein bislang unveröffentlichter Text aus dem
Nachlass des 1998 verstorbenen Bielefelder Soziologen Niklas Luhmann
zur Logik politischer Korrektheit und ihrer sprachlichen
Gleichstellungsversuche.]
FAZ 30.09.09
Hier
sieht man einmal mehr, zu welchem Unsinn sich die feministische
Gesinnung verführen lässt bzw. welchen sie produziert.