In
„Leben und Ansichten von Tristam Shandy, Gentleman“ habe ich (allerdings in der
modernen Walter-Übersetzung) eine köstliche Passage über den Nutzen der
Hilfsverben gefunden. Tristams Vater hat sich Gedanken über die Erziehung
seines Sohnes gemacht, hält sie in einem Buch fest und trägt sie hier seinen
staunenden Zuhörern vor. Ich gebe sie leicht gekürzt wieder:
Ich bin überzeugt
davon, Yorick, fuhr mein Vater fort, indem er halb las, halb frei sprach, daß
es auch in der intellektuellen Welt eine nordwestliche Durchfahrt giebt, und
daß die Seele des Menschen einen kürzeren Weg einschlagen kann, um zum Wissen
und zum Erkennen zu gelangen, als den gewöhnlichen. – Aber ach! nicht neben
jedem Acker läuft ein Fluß, oder ein Bach – nicht jedes Kind, Yorick, hat einen
Vater, der ihm diesen Weg zeigen könnte.
Das Ganze beruht –
dies sagte mein Vater mit leiserer Stimme – auf den Hülfszeitwörtern.
Hätte Yorick auf
Virgils Natter getreten, er hätte nicht erschrockener aussehen können. –
Ich erstaune selbst darüber, rief mein Vater, der es bemerkte, und halte es für
einen der beklagenswerthesten Uebelstände unseres Bildungsganges, daß die,
welchen die Erziehung unserer Kinder anvertraut ist, deren Geschäft es sein
sollte, ihren Geist zu entwickeln und ihn mit Ideen zu befruchten, damit die
Einbildungskraft sich frei bewege, bis jetzt so wenig Nutzen von den
Hülfszeitwörtern gezogen haben, wie es der Fall ist, mit Ausnahme etwa von
Raymond Lullius und dem ältern Pellegrini, welcher Letztere sich in dem
Gebrauche derselben bei seinen Gesprächen eine solche Fertigkeit erworben
hatte, daß er einen jungen Mann in wenigen Lehrstunden dahin bringen konnte,
über jeden beliebigen Gegenstand ganz plausibel pro und contra zu
reden und Alles, was darüber gesagt oder geschrieben werden konnte, zu sagen
oder zu schreiben, ohne sich in einem Worte verbessern zu müssen, worüber Alle,
die es sahen, erstaunt waren.
Ich möchte das gern
ganz begreifen, unterbrach Yorick meinen Vater. – Sie sollen es, erwiederte
dieser. – Die höchste Anwendung, deren ein Wort fähig ist, ist als bildlicher Ausdruck,
– wodurch meiner Ansicht nach die Vorstellung gemeiniglich eher abgeschwächt,
als verstärkt wird – doch lassen wir das; hat nun der Geist diese Anwendung
davon gemacht, so ist die Sache zu Ende; – Geist und Vorstellung sind mit
einander fertig, bis eine zweite Vorstellung auftritt u.s.w.
Nun sind es aber die
Hülfsverben, welche die Seele in den Stand setzen, das ihr zugeführte Material
selbstständig zu behandeln, und durch die Beweglichkeit der großen Maschine, um
die es läuft, neue Wege der Untersuchung zu eröffnen und jede einzelne
Vorstellung millionenfach zu vervielfältigen.
Sie erregen meine
Neugierde im höchsten Grade, sagte Yorick. [...]
Die Hülfsverben, von
denen hier die Rede ist, fuhr mein Vater fort, sind sein, haben, werden,
mögen, sollen, wollen, lassen, dürfen, können,
müssen und pflegen in den verschiedenen Zeiten der Gegenwart,
Zukunft oder Vergangenheit und in Verbindung mit dem
Verbumsehen angewandt. Als positive Frage: Ist es? Was ist es? Kann es
sein? Konnte es sein? Mag es sein? Mochte es sein? – Als negative Frage: Ist es
nicht? War es nicht? Soll es nicht sein? – Oder affirmativ: es ist – es war –
es muß sein, – oder chronologisch: Ist es je gewesen? Kürzlich? Wie lange ist
es her? – oder hypothetisch: Wenn es war? Wenn es nicht war? Was würde daraus
folgen? Wenn die Franzosen die Engländer schlagen sollten? Wenn die Sonne aus
dem Thierkreis treten würde?
Würde nun eines
Kindes Gedächtniß durch den rechten Gebrauch und die rechte Anwendung dieser
Formen geübt, fuhr mein Vater fort, so könnte keine Vorstellung in sein Gehirn
eintreten, und wäre es auch noch so unfruchtbar, ohne eine unendliche Menge von
Begriffen und Folgerungen daraus zu ziehen. – Habt Ihr schon einmal einen
weißen Bären gesehen? rief mein Vater und kehrte sich rasch nach Trim um, der
hinter seinem Stuhle stand. – Nein, Ew. Gnaden, erwiederte der Korporal. – Aber
Ihr könntet darüber reden, Trim, sagte mein Vater, wenn es sein müßte? – Wie
wäre denn das möglich, Bruder, sagte mein Onkel Toby, wenn er nie einen gesehen
hat. – Das brauch' ich gerade, erwiederte mein Vater, Du sollst sehen, daß es
möglich ist:
Ein weißer Bär! Sehr
wohl, habe ich je einen gesehen? Könnte ich jemals einen sehen? Werde ich
jemals einen sehen? Dürfte ich jemals einen sehen? oder – sollte ich jemals
einen sehen?
Ich wollte, ich hätte
einen weißen Bären gesehen! (wie könnte ich mir sonst einen vorstellen?)
Sollte ich einen
weißen Bären sehen, was würde ich dazu sagen? Wenn ich nie einen weißen Bären
sehen sollte, was dann?
Wenn ich nie einen weißen
Bären habe sehen können, sollen, dürfen, – habe ich vielleicht ein Fell von ihm
gesehen? Habe ich einen abgebildet, geschildert gesehen? Habe ich je von einem
geträumt?
Haben mein Vater,
meine Mutter, mein Onkel, meine Tante, mein Bruder oder meine Schwestern je
einen weißen Bären gesehen? Was würden sie darum geben? Wie würden sie sich
dabei betragen? Wie würde der weiße Bär sich dabei betragen? Ist er wild? zahm?
schrecklich? struppig? glatt?
Ist es der Mühe
werth, einen weißen Bären zu sehen?
Oder eine weiße
Bärin?
Ist es keine Sünde?
Ist es besser, als
eine schwarze?
(5. Buch, Kap. 42 und 43, bzw. in der hier benutzen Ausgabe http://www.zeno.org/Literatur/M/Sterne,+Laurence/Roman/Tristram+Shandy: Zweiter Band, Kap. 42 und 43)
Neben dem satirischen Seitenhieb auf mehr oder weniger sinnvolle grammatische Übungen und leeres rhetorisches Stroh erkenne ich hier eine Parodie auf die Fragen des Beichtspiegels.